1. Meine Motivation zum Thema
Schon seit Beginn unseres fünfjährigen Aufenthaltes in Südafrika beschäftigt mich die Frage, warum die Bevölkerung in den afrikanischen Staaten seit Ihrer Unabhängigkeit es nicht schafft, stabile Gesellschaftssysteme in ihren Ländern aufzubauen, die in der Lage wären, das tatsächliche Potential der Menschen zu entwickeln und so einen Wohlstand für alle zu generieren. Nach meiner persönlichen Einschätzung und Erfahrung unterscheidet sich das Potential dieser Menschen nicht grundsätzlich von dem der Bewohner anderer Erdteile, wenn sie eine vergleichbare Erziehung und Ausbildung erfahren. Umso wichtiger wäre es für diese Völker, Wege aus ihrer verfahrenen Situation zu finden, die zum Teil immer noch mehr Menschen in Tod und Elend stürzt. Daher stellt sich mir die Frage, ob es einen Ausweg gibt, oder ob Afrika tatsächlich der verlorene Kontinent ist, für den man ihn nur allzu leicht halten könnte. Ich möchte versuchen, mich mit dieser Fragestellung mit bildhauerischen Mitteln aus verschiedenen Blickwinkeln auseinander zu setzen.
2. Derzeitige Situation
Nach der Befreiung von den Kolonialmächten haben die Befreiungsarmeen und -parteien auf der Basis der hinterlassenen Kolonialstrukturen fast ausschließlich stark ausbeuterische Strukturen, vergleichbar mit den alten europäischen Feudalsystemen, aufgebaut. De facto wird die schwarze Bevölkerung heute in vielen Fällen durch ihre schwarzen Herrscher weitaus stärker ausgebeutet als zur Kolonialzeit durch die Europäer. So ist heute fast ausnahmslos das Bruttosozialprodukt der ehemaligen afrikanischen Kolonien weitaus niedriger als zur Kolonialzeit. Selbst Staaten, die früher Nahrungsmittel in großem Umfang exportiert haben, wie z.B. Zimbabwe, hängen heute zur Ernährung ihrer Bevölkerung von der Welthungerhilfe ab. Bildung und Ausbildung der Bürger wird wie im Mittelalter in Europa gezielt erschwert oder verhindert, damit die Völker die Diktaturen der neuen Herrscher nicht in Frage stellen. Vor allem in Zentralafrika kämpfen zahlreiche Warlords um den Zugriff auf die wertvollen Rohstoffressourcen. Diesen Machtkämpfen fallen viele Menschen unmittelbar zum Opfer oder müssen sich der Todesgefahr durch Flucht entziehen. In großen Teilen Afrikas ist die Situation vieler Menschen geprägt von Not, Elend und Hoffnungslosigkeit, während sich die neuen Eliten durch Ausbeuten der Landesressourcen schamlos auf Kosten der Menschen gigantisch bereichern. Statt die Bevölkerungen beim Aufbau demokratischer Strukturen zu unterstützen, lässt die „erste Welt“ diese Ausbeutung zu, indem sie die begehrten Rohstoffe von Diktatoren und Warlords kauft und damit die Ausbeutungsstrukturen sogar noch festigt.
Diese ausweglose Situation habe ich versucht, in der Bronze „ Africa, the lost continent?“ zum Ausdruck zu bringen. Die Büste zeigt eine von Hunger ausgemergelte Person. Die Haltung des Kopfes soll ihre Not und Verzweiflung ausdrücken. Die Augen sind aufgerissen, haben aber keinen Fokus als Zeichen der Hoffnungslosigkeit.
3. Ursachenforschung
Zur Beschäftigung mit den möglichen Ursachen dieser Entwicklung, die nicht nur für Afrika typisch ist, sondern auch Parallelen in den meisten ehemaligen Kolonien weltweit hat, habe ich Literaturstudien betrieben. Dabei hat mir besonders das Buch von Acemoglu & Robinson „Why nations fail“ plausible Erklärungen für die historische Entwicklung vom ehemaligen Kolonialstatus zu den heutigen stark extraktiven Staatssystemen gegeben. Indem die Kolonialherren die oft bereits begonnene Entwicklung der indigenen Staaten hin zu moderneren Systemen mit integrativen Strukturen, die den einzelnen Bürger stärker am Gemeinwohl partizipieren ließen, zwecks Durchsetzung ihrer eigenen Ausbeutungsinteressen mit Gewalt unterdrückten und ausmerzten, versetzten sie die unterworfenen Gesellschaften in einen Status totaler Abhängigkeit ohne eigene Entwicklungsmöglichkeiten. Nachdem diese Situation über einige Generationen angedauert hatte, war nicht nur die eigene kulturelle Identität dieser Völker weitgehend zerstört, sondern auch Ihre Fähigkeit, aus eigener Kraft ihren spezifischen Weg zu einem modernen demokratischen Staatswesen zu finden, an dessen Früchten alle Bürger in gleicher Weise partizipieren könnten, verloren gegangen. Umso leichter war es daher für die neuen Herren, ihre ehemaligen Befreier von der Kolonialmacht, die Hilflosigkeit ihrer Bürger noch brutaler auszunutzen, als dies die ehemaligen Kolonialherren getan hatten.
4. Bildhauerische Umsetzung zum Thema Kolonialismus
Da die Wurzeln der heutigen Misere offensichtlich zu großen Teilen im Kolonialismus begründet liegen, habe ich versucht, diesen Zusammenhang bildhauerisch darzustellen. Dazu habe ich einen deskriptiven Gestaltungsansatz gewählt und zwei Triptychen als Relief in Form einer Skizze in Ton modelliert.
Das erste trägt den Titel „Colonialism I: The Big Hole“. Es zeigt das Zusammenwirken der weltlichen und der kirchlichen Macht als unheilige Allianz zur Ausbeutung der Kolonien.
Der linke Flügel symbolisiert die Twin Towers des ehemaligen World Trade Centers in New York als moderne Demonstration der weltlichen Macht, die sich vor allem in der Macht des internationalen Kapitals manifestiert, das die Ausbeutung ständig weitertreibt.
Der rechte Flügel symbolisiert die Macht der Kirche, die aus Eigeninteresse (Macht und Geld) die Unterwerfung der indigenen Völker unterstützt hat, in Form einer hoch aufragenden Kathedrale. Die Anregung dazu kam bei der Besichtigung verschiedener Kathedralen in Andalusien mit Ihren Schatzkammern, in denen z.B. meterhohe Prunkmonstranzen aus Tonnen von Gold und Silber, das man in Südamerika geraubt hatte, ausgestellt sind. Im Falle Afrikas sind mir zwar keine durch die Kirche geraubten Goldschätze bekannt, aber hier hat meines Erachtens die Kirche die Ausbeutung des Kontinents zwecks Ausdehnung Ihrer Einflusssphären sanktioniert und unterstützt. Ebenso hat sie bei der Zerstörung der indigenen Kulturen entscheidend mitgewirkt.
Der mittlere Teil des Triptychons steht für das, was für die Afrikaner übrig geblieben ist:
„The Big Hole“ von Kimberley, das nach der Ausbeutung der Diamanten zurückgeblieben ist. Es symbolisiert wie kaum ein anderes Beispiel, wie die lokale Bevölkerung die Kolonialzeit empfunden hat. Aus diesem einen Loch wurden mehr als 2,7 Tonnen Diamanten zusammen mit 22,5 Millionen Tonnen Gestein ausgegraben. Der dortigen Bevölkerung blieb nach dem Ende des Abbaus in 1914 nur ein großes, mit Wasser teilweise gefülltes Loch. Was man nicht sieht, ist das Schicksal der Bergleute, die unter schwierigsten Verhältnissen, oft unter Einsatz ihres Lebens, für die Kolonialherren diesen gigantischen Schatz gehoben haben. Daher habe ich, unter der von oben sichtbaren Wasseroberfläche des Big Hole die Schädel der dort umgekommenen Arbeiter angedeutet.
Dieses Triptychon zeigt also gewissermaßen einen Altar der Macht und des Geldes, auf dem die afrikanischen Völker geopfert wurden und heute noch durch ihre eigenen Machthaber geopfert werden.
Das zweite Tryptichon trägt den Titel: „Colonialism II: Cry“.
Der linke Flügel nimmt Bezug auf die Ausbeutung der Rohstoffressourcen. Die Blutdiamanten sind ein weithin bekanntes Beispiel für die derzeit fortdauernde Ausbeutung unter größten menschlichen Opfern.
Der rechte Flügel zeigt den Baobab, den afrikanischen Lebensbaum, allerdings mit abgehackten Wurzeln, als Symbol dafür, dass hier einem Volk nicht nur sein natürlicher Reichtum und damit ein wichtiger Teil seiner Lebensgrundlagen genommen wurde, sondern auch seine Identität zerstört wurde.
Der Mittelteil symbolisiert den bereits über viele Generationen andauernden Schrei der Verzweiflung und den Schrei nach Gerechtigkeit.
5. Ausblick
Zum Glück wird heutzutage neben den schlechten Nachrichten über Afrika auch gelegentlich über positive Entwicklungen berichtet. Dies hat mich zu der Bronze „On the rise?“ angeregt. Sie zeigt einen kraftvollen männlichen Torso, der sich gewissermaßen aus dem Sumpf, in dem er steckt, heraus zu ziehen versucht. Obwohl die Kraft und die Fähigkeit zu einem solchen Aufbruch grundsätzlich vorhanden sind, sehe ich persönlich noch ein großes Fragezeichen bezüglich der Erfolgsaussichten dieser Bemühungen. Einen wesentlichen Hinderungsgrund sehe ich in der mangelnden Kooperation und Koordination sowohl auf persönlicher als auch auf gesellschaftlicher Ebene. Eine Bündelung der zweifellos vorhandenen Kräfte könnte meines Erachtens einen entscheidenden Beitrag zum Erfolg leisten. Die Bronze „Africa on it’s way?“ thematisiert diese Situation, in der trotz des grundsätzlich gleichen Zieles keine gemeinsame Anstrengung unternommen wird, und damit die Erfolgsaussichten für keinen der Betroffenen verbessert werden können.
Die Tatsache, dass man sich nach Verlassen des “Gefängnisses” Kolonialismus allzu gerne in neue Abhängigkeiten begibt, hat mich zu der Bronze “Quo vadis?” angeregt. Oft liegt die Macht in den Gesellschaften nicht bei den klügsten Köpfen sondern bei den brutalsten Schreihälsen, die von ihren Anhängern auf einen Sockel gehoben werden, wie der “Kleine Warlord”.
Für mich ist offensichtlich, dass fundamentale Veränderungen in den Köpfen stattfinden müssen, die die starren und festgefahrenen Verhaltensmuster quasi zum Einsturz bringen, ehe es zu einer wirklichen und nachhaltigen Befreiung kommt, siehe die Bronze “Liberation”.
Die Bronze “The lost continent?II” ist unter dem Eindruck der furchtbaren Gewalt, die auf dem Kontinent immer wieder aufflammt, entstanden.
Zu den Bronzen “Exodus” und “Way to Freedom?” hat mich die massive Fluchtbewegung der Afrikaner über das Mittelmeer bzw. auch über die Festlandroute nach Europa angeregt, die viele nicht oder nur traumatisiert überleben, und die oft nur zu neuem Elend führt.
Trotz allem bleibt zu hoffen, dass der Kontinent eines Tages durch die Einsicht in die Notwendigkeit fundamentaler Veränderungen und durch die Aktivierung und Koordination seiner eigenen Kräfte einen erfolgreichen Weg aus der Misere finden wird.