Werkzyklus “Metamorphosen”, Gedanken zum Thema Minotaurus

Der Minotaurus, ein Mischwesen aus Mensch und Stier, hat seit der Antike immer wieder Eingang in die Kunst gefunden. Dieses monströse Wesen wurde entsprechend der griechischen Mythologie durch einen schweren Frevel gezeugt.  Pasiphae, die Tochter des Sonnengottes und Frau des Königs Minos von Kreta hatte sich, verborgen in einer künstlichen Kuh, von einem dem Meeresgott Poseidon geweihten weissen Stier, in den sie sich verliebt hatte,  begatten lassen. Das Kind dieser Vereinigung, der Minotaurus, vereinigt in sich neben seiner aus Mensch und Stier zusammengesetzten Gestalt sowohl animalische als auch menschliche Wesenszüge. Diese starke Ambivalenz – auf der einen Seite das grausame Monster, auf der anderen Seite das verletzliche Wesen, das für seine Natur ja nicht selbst verantwortlich ist – begründet für mich den künstlerischen Reiz dieser Figur.

Mit seiner animalischen Natur kann der Minotaurus als Metapher dienen für die monströse Brutalität, zu der Menschen offensichtlich immer wieder fähig sind. In abgeschwächter Form kann sie aber auch für die männliche Begierde und Potenz stehen wie in den bekannten Radierungen von Picasso.

Die verletzliche Seite des Minotaurus, der eingesperrt in das Labyrinth in Knossos nichts von der äusseren Welt weiss, der zwar denken, sich selbst aber nicht in Bezug zu anderen Lebewesen einordnen kann oder gar wissen könnte, was richtig oder falsch, gut oder böse ist, und der nicht versteht, was mit ihm geschieht, als Theseus in das Labyrinth kommt um ihn zu töten, hat Friedrich Dürrenmatt in einer Ballade einfühlsam beschrieben.

Bei der bildhauerischen Umsetzung stand für mich die Opferrolle des Minotaurus im Vordergrund. Das Mischwesen, dem schon mit seiner Zeugung das erste Unrecht geschah, und das schließlich mit seinem gewaltsamen Tod für einen Frevel büßen muss, den es selbst nicht zu verantworten hat, hat trotz seiner animalischen Kraft keine Chance gegen den menschlichen Helden Theseus. Seine Verletzlichkeit trotz seiner rohen Kraft, sein Aufbäumen gegen das Unfassbare des eigenen Schicksals, und schließlich seine Erkenntnis, dass der Kampf nicht mehr zu gewinnen ist, all diese Aspekte sind in meine Plastiken eingeflossen. Dabei sind Parallelen zu meinen Arbeiten zu den Themen Schmerz und Stierkampf nicht zu übersehen, da sie letztlich alle aus ähnlichen Empfindungen gespeist wurden.